Edelbrennerei Dirker

Arno Josef Dirker, 45 Jahre alt, aus dem kleinen Ort Mömbris bei Aschaffenburg ist in kurzer Zeit zu einem der erfolgreichsten Brenner Deutschlands aufgestiegen. Seine Heimat ist Franken, unüberhörbar, die Familie dort fest verwurzelt, seit im 17. Jahrhundert ein isländischer Seemann namens Dirker in der Gegend strandete und sechs uneheliche Kinder gezeugt haben soll. Vater, Großvater und Urgroßvater waren Förster, er selbst lernte zunächst Zimmermann. Doch da die Familie eine große Streuobstwiese mit 700 Apfelbäumen besaß und überwiegend für den Eigenbedarf produzierte, entdeckte Arno seine Liebe zum Äppelwoi. Den Anstoß für seine Brennerkarriere gab jedoch eine andere Frucht aus der Familienplantage: Als 1986 die Zwetschgenernte reichlich ausfiel, brachte er den Überschuss zu einem befreundeten Destillateur. Von da an lieferte Dirker häufiger den Grundstoff für Edelbrände, half ab und zu in der Destillerie aus, lernte dabei ganz nebenbei die Feinheiten des Obstbrennens und stellte dort 1987 seinen ersten eigenen Schnaps her, einen Wildbeerenbrand. „Da hab ich alles zusammengeschüttet, Brombeeren, Himbeeren – alles, was ich an Beeren hatte.“ Sein eigenes Brennrecht und eine gebrauchte Anlage erwarb er 1992.

In seiner Zeit als Aushilfe muss er sehr gut hingeschaut haben, denn schon im Januar 1993 belegte Arno Dirker beim Wettbewerb der Internationalen Spirituosenmesse Destillata im österreichischen Bad Kleinkirchheim den zweiten Platz unter den besten europäischen Brennereien. Hammer und Hobel legte er endgültig zur Seite und beschäftigte sich nur noch mit Mirabelle und Mollebusch, der fränkischen Birnensorte.

Ein weiterer Erfolg blieb nicht aus: Ein Jahr später wurde er in Österreich „Schnapsbrenner des Jahres.“ Für sein Traubenkirschwasser erhielt er eine Goldmedaille, für sein Wildkirschwasser aus roten Wildkirschen, seinen Quittenbrand und sein Pfirsichwasser zusätzlich die Auszeichnung „Schnaps des Jahres“, Nur aus bestem Obst entsteht ein Brand von hoher Qualität. Dirker kennt in seiner Gegend jeden Strauch. Auch vor seinem Vater ist kein Baum sicher. Ist der Senior unterwegs, pflückt er oft einen Zweig mit Früchten und bringt ihn mit nach Haus. Dort misst Sohn Arno den Zuckergehalt des Obstes und prüft, ob es zum Brennen geeignet ist.

Vor einiger Zeit entdeckte er auf einem Hügel oberhalb des Ortes einen Kirschbaum auf kargem Boden, dessen Früchte sehr geschmacksintensiv waren. „Sofort hab‘ ich den Besitzer aufgespürt, ihm eine Flasche Schnaps versprochen und die Erlaubnis zum Ernten erhalten.“ Mit dieser Methode kommt Dirker Junior an ganz besondere Rohstoffe. Mirabellen kauft er im Taunus, alle anderen Früchte stammen von eigenen Bäumen oder aus der näheren Umgebung. Zum pflücken muss die Familie ran. „Wir können dadurch selbst entscheiden, welche Früchte wir nehmen und vor allem, wann wir pflücken.“ Sind die Kirschen in einem Jahr früher reif, rückt die Familie eben früher aus. „So flexibel ist ein Großproduzent nicht. Ein entscheidender Qualitätsvorsprung für Brenner wie mich“, sagt Dirker.

Spaß macht ihm vor allem die Ernte der Wildkirschen. Bis zu fünfzehn Meter hoch sind die Bäume. Kein Problem für den ehemaligen Zimmermann, der beim Anbringen von Dachbalken schwindelfrei sein musste. „Wenn ich oben angekommen bin, nehm‘ ich zehn zwölf Kirschen auf einmal in den Mund und spuck‘ alle Kerne zusammen im hohen Bogen aus“, sagt Arno und grinst frech wie ein Schuljunge. Beim Kirschenpflücken färbt der Saft der Früchte seine Hände ganz schwarz, das lässt sich dann tagelang nicht mehr abschrubben. Eine ungenießbare Frucht – das gibt es für ihn nicht. Er brennt alles, was ihm in die Quere kommt, natürlich auch Apfelbrände, darunter sortenreine von Golden Delicious und Cox Orange. Selbstverständlich gehören Williams-Christ-Brand, Kirschwasser und Mirabellenschnaps zu Dirkers Angebot.

Doch seine Leidenschaft sind seltene, oft nur regional vorkommende Früchte. Sein Lorbeerkirschwasser aus der prunus laurocerasus wollte er an den Hochschulen in Hochheim oder Trier untersuchen lassen, bevor es eventuell in den Handel kommt. Doch dort musste man auf die Frage, ob sich die Toxine des Grundstoffs durch die Hitze beim Brennen versetzt haben, passen. Nun wird er das Gerichts-medizinische Institut in Frankfurt für eine Unbedenklichkeitsprüfung bemühen. Andere Früchte, die roh ungenießbar sind, hat er bereits erfolgreich zu duft- und geschmacksintensiven Bränden verarbeitet: In Dirkers Verkaufsregal stehen Eibenwasser aus Früchten des Nadelbaums taxus haccata mit dezentem Nadelduft, Brände aus blauschwarzen Beeren des stacheligen Mahoniestrauchs mahonia aquifolium mit intensivem Aroma nach Schokolade, Mandeln, Zimt und Zitrone und der roten Heckenkirsche Ionicera xylosteum mit ausdrucksstarkem Beerenaroma. Die Nachfrage nach diesen Spezialitäten aus ungewöhnlichen Rohstoffen ist groß. Nachteilige Folgen sind bisher nicht bekannt, alle Kunden sind heute noch putzmunter. Etwa fünfzig Brände hat er auf seiner Preisliste, dazu Geiste von Knoblauch, Steinpilz und Haselnuss, Umsatzrenner sind sein Feldzwetschgenwasser, das im Holzfass gelagert wird. Die schlichten Etiketten für seine Brände sehen handgemacht aus und sind es auch. Dirker gestaltet sie selbst, fotokopiert sie und gibt die Blätter einem behinderten Verwandten, der die Etiketten millimetergenau ausschneidet und sie per Hand auf die Flaschen klebt.

Versessen ist er. Gibt sich nicht zufrieden mit dem Normalen. Kriecht durch dornige Büsche, um die Japanische Zierquitte chaenomeles japonica zu pflücken. Keine sehr ergiebige Frucht, doch Dirker macht daraus ein unvergleichliches Geschmackserlebnis. Einige Brände gibt es bei ihm nur alle Jubeljahre. Den Brand von der Russe Quetsche, einer fränkischen Pflaumensorte mit viel Saft und wenig Zucker, der Erinnerungen an Omas Pflaumenkuchen weckt: Steinweichselkirschwasser mit einem Weihnachtsduft nach Zimt, Kakao, Nelken und Vanille oder Krichenwasser von kleinen, runden Pflaumen, aromatisch, würzig, wuchtig.

Sein Haus bietet nicht gerade den Anblick eines landschaftlichen Musterbetriebs: In der Einfahrt liegt Holz für den Brennofen, dazwischen Fahrräder und Spielzeug seiner Söhne, im ehemaligen Wohnzimmer lagern abgefüllte Flaschen, an den Wänden vergilben Blümchentapeten. Im Schuppen stehen dichtgedrängt leere Glasballons und Kartons mit Flaschenetiketten, der Hof ist vollgestellt mit blauen Plastiktonnen, in denen die Maische ruht. Der Inhalt einiger Tonnen stammt von Kunden, die sich aus selbstgepflückten Früchten ihren individuellen Schnaps brennen lassen. 132 bis 160 Liter passen in jede Tonne. Nicht viel, aber dadurch lässt sich die Entwicklung der Maische besser kontrollieren. Verläuft die Gärung zu rasch, weil das Wetter zu warm wird, schiebt er die Tonnen in den Kühlraum. Je nach Fruchtart, Temperatur und Hefesorte lagert die Maische drei Wochen und länger: Himbeeren, Äpfel und Williams zum Beispiel brauchen ein Vierteljahr, säurestarke Früchte wie Speierling und Schlehe bis zu einem Jahr. Eine kritische Zeit.

Wenn der Fruchtsud in der Tonne umkippt, war viel Arbeit vergeblich. Schuld an verdorbener Maische ist meist die Essigfliege. Aber auch ein unsauberer Rührstab oder Bakterien haben schon manchen Brenner verzweifeln lassen. Sind die Früchte in der Maische nach unten gesunken, kann das Destillieren des Suds beginnen. Dirker verlässt sich dabei auf seine Nase und schnuppert, ob die Gärung abgeschlossen ist. Dirker ist Abfindungsbrenner. Dreihundert Liter Alkohol darf er pro Jahr brennen – Eigentlich. Doch das Gesetz hat ein paar Schlupflöcher gelassen. Wenn ein Destillateur sein Kontingent nur zu zehn Prozent ausnutzt kann er die restlichen neunzig Prozent einem anderen Brenner übertragen, vorausgesetzt, der verarbeitet seinen eigenen Rohstoff. Das nutzt Dirker natürlich und kommt so auf Umsatzmengen, bei denen die Familie nicht nur trocken Brot essen muss.

Bereits fünf Tage vor Brennbeginn, so will es die Vorschrift, muss Dirker beim Hauptzollamt Stuttgart Fruchtart, Menge, Maischefassnummer und Uhrzeit der Destillation beantragen. Unter den fränkischen Kleinbrennern kursieren abenteuerliche Geschichten. So soll einst ein Zöllner eine Destillerie geschlossen haben, weil der Brenner eine Stunde zu früh begann – der amtliche Vorwurf lautete auf Schwarzbrennerei. Der Brenner sah sich ruiniert und brachte sich um. Gesprächsstoff lieferte auch ein Zöllner, der einen Brenner zwar bei unerlaubtem Tun ertappte, aber nicht ins Haus hineinkam und versuchte durchs Stallfenster einzudringen. Dort blieb er stecken und wurde erst befreit, als gebrannt und die Beweismittel vernichtet waren. Alles nur erfunden? Und wenn schon!

Arno Dirker hat Fichtenholz besorgt, Verpackungsmaterial einer nahegelegenen Gerüstbaufirma. Gebrannt werden soll heute Zwetschgenwasser, die Maische lagerte ein dreiviertel Jahr. Der Perfektionist ist voll bei der Sache. Das kleine Kolonnenbrenngerät im Brennhaus auf dem Hof wird mit dem Fichtenholz angefeuert, danach mit gleichmäßig brennender Buche auf konstanter Temperatur gehalten. Es ist bullig heiß. Die Maische wird erhitzt, die Temperatur steigt, der Alkohol verflüchtigt sich, der Dampf zieht in einem kupfernen Rohrleitungssystem hoch, kühlt dort ab und tropft unten aus einer Tülle heraus.

Jetzt zeigt sich die Meisterschaft. „Du kannst die besten Früchte sammeln, den richtigen Erntezeitpunkt finden, die optimale Gärung hinbekommen – wenn du Vor- und Nachlauf nicht richtig abtrennst, ist alles vergebens“, sagt Arno. Bei 65 Grad geht’s los, erst kommt der Vorlauf, der Blindmacher Methylalkohol, scharf und bissig, nach Klebstoff und Nagellackentferner riechend. Dann bei 78,3 Grad endlich das Ethanol, der Stoff, aus dem die Träume sind. Dirker benutzt kein Thermometer, keine technischen Hilfsmittel. Bei seiner sanften Destillation kommt die Flüssigkeit nur seidenfadendünn aus dem Gerät. Immer wieder schmeckt er mit dem Finger ab, bis er die Faust ballt: „Jetzt!“ Das ist es, was er haben wollte. Dirker ist ein sparsamer Mensch, doch bei der Abtrennung von Vorlauf und dem muffig riechendem Nachlauf, der dem Herzstück folgt, ist er großzügig. Die Ausbeute ist dadurch kleiner, der Umsatz, pro Kilo geernteter Frucht geringer, doch sein Erfolg zeigt ihm, dass er auf dem richtigen Weg ist. Die Qualität seiner Brände hat sich über den Umweg von der Destillation in Österreich auch in Mömbris herumgesprochen. Heute kaufen auch Einheimische, die vorher über die hohen Preise lästerten, seine erfolgreichen Schnäpse.

Tagsüber läuft Dirker immer noch in seiner alten Handwerkskluft herum, etwas Praktischeres gibt es für ihn nicht. Abends schlüpft er allerdings schon mal in seinen feinsten Zwirn und geht ins Feinschmeckerrestaurant „Zum Wilddieb“ nach Heimbach, ein Nachbarort von Mömbris. Oder er fährt ins benachbarte Blankenbach. Dort hat er im „Landgasthof Behl“ eine zweite Brennanlage installiert. Er destilliert während des sechsgängigen Menüs vor den Augen der Gäste und stellt zu jedem Gang einen Obstbrand vor. Selbst in der Topgastronomie ist der Rat des Autodidakten Dirker gefragt. So hat er zum Beispiel Verkostungen und Schulungen für das Servicepersonal im Hotel „Traube-Tonbach“ in Baiersbronn im Schwarzwald durchgeführt.

Es wäre nicht die Welt des Arno Josef Dirkers, würde er sich auf seinen Erfolgen ausruhen. Er will wieder Neues schaffen. „Einen Geist aus Blüten – aus Rosen zum Beispiel – so etwas wie Parfüm zum trinken, das wär’s!“

Weitere Infos unter:
Edelbrennerei Dirker
Alzenauer Str. 108
63776 Mömbris
Web: https://dirker.de